Das Projekt richtet sich an Jugendliche mit einer sexuellen Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema. Nach der initialen Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist es seit 2018 Teil eines Modellvorhabens nach § 65d SGB V des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen. Es hat sich durch seine anonyme Behandlungsmöglichkeit als wichtiges Präventionsangebot etabliert.

Die Relevanz präventiver Angebote wird durch aktuelle Zahlen unterstrichen: Laut polizeilicher Kriminalstatistik sind etwa ein Drittel der Tatverdächtigen im Bereich sexualisierter Gewalt gegen Kinder Jugendliche oder selbst noch Kinder.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die die Fachtagung mit einem Grußwort eröffnete, unterstrich die langfristige Bedeutung des präventiven Ansatzes: „Es ist und bleibt der richtige Weg: Taten zu verhindern, statt nur auf geschehenes Unrecht zu reagieren. Was vor über einem Jahrzehnt als mutiges Modellprojekt begann, hat sich als wegweisend für den präventiven Kinderschutz erwiesen. Der Erfolg gibt dem Ansatz Recht – nicht nur in Deutschland, sondern mittlerweile auch international.“

„Unsere wissenschaftlichen Daten belegen: Je früher wir therapeutische Hilfe anbieten können, desto erfolgreicher können wir problematisches sexuelles Verhalten verhindern“, bilanzierte Projektleiter Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier.

Ein wichtiger Aspekt der Arbeit ist die hohe Rate an psychiatrischen Begleiterkrankungen. „74,4% der Jugendlichen mit einer Präferenzbesonderheit weisen mindestens eine psychiatrische Komorbidität auf“, erläuterte die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Eliza Schlinzig, die das Projekt seit 2014 koordiniert. „Diese Komorbiditäten erfordern ein eng vernetztes Versorgungssystem.“ Die enge Kooperation mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Vivantes-Klinikums hat sich dabei als unverzichtbar erwiesen.

„In der klinischen Praxis sehen wir, dass die Kombination aus therapeutischer Intervention und psychiatrischer Behandlung entscheidend für den Erfolg ist“, erklärt Tobias Hellenschmidt, kommissarischer Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum im Friedrichshain und leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Neukölln. „Besonders bei begleitenden psychischen Erkrankungen ist die enge Abstimmung zwischen den Behandelnden von großer Bedeutung.“

Eine besondere Herausforderung stellt die Gruppe der Jugendlichen mit Intelligenzminderung dar. In Kooperation mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) wurde hierfür ein spezialisiertes stationäres Betreuungskonzept entwickelt. „Diese Jugendlichen finden in bestehenden Einrichtungen der Jugend- und Eingliederungshilfe häufig keinen Platz, da die notwendige intensive Betreuung und spezifische Expertise dort nicht gewährleistet werden können“, erläuterte Beier. „Mit unserem neuen Konzept schließen wir eine bedeutende Versorgungslücke.“

Die Zahlen der letzten zehn Jahre belegen den Bedarf: Von 272 vollständig diagnostizierten Jugendlichen konnten 172 in therapeutische Angebote vermittelt werden. Bei der Mehrheit der Jugendlichen war es bereits zu problematischem sexuellen Verhalten gegenüber Kindern gekommen, bevor sie das Hilfeangebot wahrnahmen. Die meisten Anfragen (80%) kamen dabei von besorgten Bezugspersonen, insbesondere Eltern und Fachkräften aus der Jugendhilfe. In 20% der Fälle suchten Jugendliche selbst Hilfe. „Diese Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, sowohl die Jugendlichen direkt als auch ihr Umfeld noch früher über Hilfemöglichkeiten zu informieren“, erläutert Beier.

„Der Erfolg unserer Arbeit bemisst sich nicht allein an der Prävention erstmaligen oder wiederholten problematischen sexuellen Verhaltens“, betont Beier. „Ebenso wichtig ist es, den Jugendlichen eine Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Integration zu eröffnen. Dafür braucht es das Zusammenspiel von therapeutischer Hilfe, pädagogischer Begleitung und gesellschaftlicher Akzeptanz für präventive Ansätze.“

Mittlerweile gibt es auch in Hannover, Hamburg und Zürich therapeutische Angebote für Jugendliche mit sexueller Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema. Die heutige Fachtagung brachte 100 Fachleute aus einem breiten Spektrum zusammen: Neben Therapeut:innen und Wissenschaftler:innen nahmen Vertreter:innen aus Beratungsstellen, schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Zentren, der Jugendhilfe sowie der Kinder- und Jugendpsychotherapie teil. Mit dem Vorsitzenden des Bundeselternrates, Dirk Heyartz, war auch die wichtige Perspektive der Eltern vertreten. Diese Vielfalt der Teilnehmenden unterstreicht die Bedeutung einer vernetzten, multiprofessionellen Zusammenarbeit im präventiven Kinderschutz. Für die Zukunft plant das Projekt den Ausbau der bundesweiten Versorgungsstrukturen sowie die Intensivierung niedrigschwelliger Online-Angebote.

„Die Ergebnisse aus zehn Jahren PPJ-Projekt belegen die Bedeutung präventiven Kinderschutzes. Wer Jugendlichen mit einer sexuellen Präferenzbesonderheit früh hilft, kann sexualisierte Gewalt gegen Kinder verhindern. Die hohe Zahl freiwillig Hilfesuchender und die nachgewiesenen Erfolge bestärken uns, diesen Weg weiterzugehen. Besonders die enge Vernetzung zwischen Therapeuten, Psychiatern, Jugendhilfe und Familien ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Jeder verhinderte Übergriff schützt sowohl die jugendlichen potentiellen Täter als auch die gefährdeten Kinder und ermöglicht beiden ein gesünderes Aufwachsen“, resümiert Jerome Braun von der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel.
 

Bild: Tobias Hellenschmidt, Imre Tálos, Jerome Braun, Dirk Heyartz, Prof. Dr. Beier, Julia von Weiler